Vierter Advent (18.12.)2022

  • Eröffnung

Jubelnd grüßt der Wochenspruch aus dem Philipperbrief für den 4. Advent: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ Ist diese Freude möglich? Sind wir Menschen nicht ganz anders gestrickt? Folgen wir also der Botschaft und ihrer lebensverändernden Kraft.

  • Die Lebensmelodie – Ein Lied: „Mit dir, Maria, singen wir“ (EGE 18)

Mit dir, Maria, singen wir
von Gottes Heil in unsrer Zeit.
Uns trägt die Hoffnung, die du trugst
– es kommt der Tag, der uns befreit.

  1. Hell strahlt dein Lied durch jede Nacht:
    „Ich preise Gott, Magnificat.
    Himmel und Erd hat er gemacht,
    mein Gott, der mich erhoben hat.”
  2. Du weißt um Tränen, Kreuz und Leid,
    du weißt, was Menschen beugt und biegt.
    Doch du besingst den, der befreit,
    weißt, dass das Leben letztlich siegt.
  3. Dein Jubel steckt auch heute an,
    österlich klingt er, Ton um Ton:
    Großes hat Gott an dir getan,
    Großes wirkt unter uns dein Sohn.
  4. Hell strahlt dein Lied durch jede Nacht,
    pflanzt fort die Lebensmelodie:
    Es kommt, der satt und fröhlich macht,
    der deinem Lied den Glanz verlieh.
  • Meine Seele erhebt – Worte aus Lukas 1

Ein Lied der Freude und Güte singt Maria, die Mutter Gottes.
Dieses Lied ist einer der Psalmen, die wir im Neuen Testament finden können. Die unmittelbare Nähe Gottes in ihrer Schwangerschaft bestimmt fortan ihr Leben.

Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan,
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währet für und für
bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern,
Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.

  • Eure Güte – Brief an die Philipper im 4. Kapitel

Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!
Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!
Der Herr ist nahe!
Sorgt euch um nichts,
sondern in allen Dingen lasst eure Bitten
in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.
(Phil. 4,4-7)

  • Das Feld der Sorge bestellen – Gedanken zum Brief an die Philipper

Der Mensch ist nicht nur Sorge, sondern vor allem Güte. So lese ich die Worte aus dem Brief an die Philipper. Eure Güte lasst kund sein, schreibt Paulus, und dass sich die Christen in Philippus nicht sorgen sollen. Er geht also sogar noch darüber hinaus, zu sagen, dass der Mensch Sorge UND Güte sei; er sagt sogar: Streift das Wesen der Sorge ab; und nehmt das Wesen der Güte an. Ihr habt sie. Ihr seid sie. Denn der Herr ist nahe. Und ihr seid und bleibt bewahrt in Christus Jesus.

Liebe Leserinnen und Leser,

die Formulierung „eure Güte“ hat mich beim Lesen irritiert. HABE ich denn Güte? Ist sie mir eigen? Wird sie mir nicht vielmehr gegeben? Ist es denn nicht meine, sondern die Güte Gottes, die ich kund sein lasse in der Adventszeit? Kommt sie nicht erst? Ist der Advent nicht die Zeit der Erwartung auf etwas Kommendes? Paulus sieht das anscheinend anders! Aber, bevor ich mich auf die Suche nach der Güte mache, die ich und ihr habt, die wir in uns tragen, sorge ich mich erst um die Sorge.

Martin Heidegger, der Philosoph des 20. Jahrhunderts, also fast 2000 Jahre nach Paulus, sieht das Wesen des Menschen in der Sorge. Sie sei das Sein des Daseins, formuliert Heidegger in seiner sehr eigenen Sprache, was vereinfacht bedeutet, dass unser Menschsein von Grund auf von der Sorge bestimmt ist. Er verweist auf eine Fabel des römischen Dichters Hyginus, die wiederum von Herder in ein Gedicht umformuliert wurde.

Das Kind der Sorge

Einst saß am murmelnden Strome
Die Sorge nieder und sann;
Da bildet‘ im Traum der Gedanken
Ihr Finger ein leimernes Bild.

»Was hast Du, sinnende Göttin?«
Spricht Zeus, der eben ihr naht.
»Ein Bild, von Thone gebildet;
Beleb’s! ich bitte Dich, Gott.«

»Wohlan denn! lebe! – Es lebet!
Und mein sei dieses Geschöpf!«
Dagegen redet die Sorge:
»Nein, laß es, laß es mir, Herr!

Mein Finger hat es gebildet.«
»Und ich gab Leben dem Thon,«
Sprach Jupiter. Als sie so sprachen,
Da trat auch Tellus hinan.

»Mein ist’s! Sie hat mir genommen
Von meinem Schooße das Kind.«
»Wolan!« sprach Jupiter, »wartet!
Dort kommt ein Entscheider, Saturn.«

Saturn sprach: »Habet es Alle!
So will’s das hohe Geschick.
Du, der das Leben ihm schenkte,
Nimm, wenn es stirbet, den Geist;

Du, Tellus, seine Gebeine;
Denn mehr gehöret Dir nicht.
Dir, seiner Mutter, o Sorge,
Wird es im Leben geschenkt.

Du wirst, so lang‘ es nur athmet,
Es nie verlassen, Dein Kind.
Dir ähnlich, wird es von Tage
Zu Tage sich mühen ins Grab.«

Des Schicksals Spruch ist erfüllet,
Und Mensch heißt dieses Geschöpf;
Im Leben gehört es der Sorge,
Der Erd‘ im Sterben und Gott.

Wir sind also von der Sorge gemacht. Ihr Handwerk ist unsere Substanz. Was noch in uns steckt, der Lehm und der Ton, gehört eine gewisse Zeit der Sorge; ebenso wie der Atem und das Leben. Nach unserer Lebenszeit kehrt dann wieder zu Gott und zur Erde zurück, was einmal zur Erde und zu Gott gehörte. Erde zu Erde, heißt es am Grab; und im Psalm: meinen Geist befehle ich in deine Hände. Das ist ein anschauliches Bild unserer menschlichen Existenz.

Der Sorge inne, müht sich dieses menschliche Wesen von Tag zu Tage ins Grab. In der Fabel des römischen Dichters erweist sich unser Menschsein als eine fast gewaltsame Fügung, die wieder in ihre ursprünglichen Bestandteile auseinanderstrebt. Und im Alltag als eine Grundhaltung, die oft ganz durchdrungen ist von Gedanken und Taten, die sich ganz erschöpfen im Suchen und Finden von Möglichkeiten des Lebens und Überlebens; in sich und um sich kreisend; selbstbezüglich und selbstgefällig. Es gibt die besorgten Bürger, die sich sorgen wegen der Geflüchteten, wegen der Impfung und wegen der Nato; ebenso wie die Anderen, die sich sorgen wegen der besorgten Bürger. Gerade in Krisenzeiten wird unser Besorgtsein besonders deutlich.

Dennoch sieht Paulus Platz für die Güte, setzt sie sogar an die Stelle der Sorge. Er verankert sie entgegen des Anscheins umfassender Sorge im Wesen des Menschen. Oder genauer gesagt: im Wesen des Menschen, der sich zu Jesus Christus zählt. Das ist Anlass für Freude; und in der Tat, da kann ich ihm folgen. Wenn ich nicht von der freudlosen Sorge bestimmt bin, wäre das ein großer Anlass zur Freude selbst und eben zur Güte.
Glücklicherweise hat die Bibel ebenso ein Bild für die Güte wie Hyginus, Herder und Heidegger ein Bild für die Sorge des Menschen haben. Wir haben es zu Beginn des Gottesdienstes gelesen und im Evangelium die Geschichte dazu gehört. Marias Schwangerschaft erzählt davon. Maria geht schwanger mit der Güte und wird sie allen Menschen kund sein lassen.
Dabei ist auch Maria ein Wesen der Sorge. Das wird deutlich als sie zögert, die Botschaft anzunehmen. Wo ich doch von keinem Manne weiß, fragt sie, als ihr der Engel entgegentritt und die frohe Botschaft ihrer Schwangerschaft übermittelt; und das ist keine biologische Erwägung, sondern verweist auf ihr sorgenvolles Denken.
Es ist für sie schlichtweg nicht vorstellbar. Es ist schlichtweg nicht vorstellbar, nicht von der Sorge bestimmt zu sein.
In ihrem Lobgesang wird dann das angesprochen, was die menschliche Sorge trägt. Die Niedrigkeit der Magd ist ein Bild für die niedergeschlagene Seite der Sorge, die nicht ein noch aus weiß. Und die Hoffärtigen in ihres Herzens Sinn ist das andere Bild für die Sorge, die sich besser weiß als andere; vielleicht um die eigene Niedrigkeit nicht spüren zu müssen. Jetzt aber trägt Maria die Güte in sich. Sie trägt ein Kind in sich, dass Güte bedeutet für alle Menschen, die an es glauben. Jubelnd spricht sie das aus.

Trotzdem fühle ich mich überfordert. Die Sorge sich selbst überlassen und nur noch Freude und Güte sein ist ein großer Anspruch den Paulus hier aufstellt. Den Frieden Gottes walten lassen und nicht die Vernunft scheint mir, um es schlicht zu sagen, wenig praktikabel.
Mut macht mir aber, dass Paulus selbst aus einer äußerst sorgenvollen Position schreibt. Er sitzt im Gefängnis. Er weiß nicht, was der nächste Tag bringen wird. Er weiß aber auch, dass seine Botschaft umso heller leuchten wird vor diesem dunklen Hintergrund. Paulus verschweigt seine Sorge nicht. Auch ganz persönliche Dinge sind ihm wichtig genug, um sie in seinen Briefen anzusprechen. Auch Paulus also ist ein Kind der Sorge.
Ich kann das gut verstehen. Ich finde in seinen sorgenvollen Formulierungen einen Menschen, dem ich folgen kann mit meiner eigenen Sorge. Das schafft Nähe, die das Wesen der Güte an sich trägt. Sei gütig mit der Sorge, sage ich mir; und ich sehe sie da sitzen mit Lehm an den Fingern. Ich stelle sie mir traurig vor, weil sie zitternd an dem Wesen hängt, das sie geschaffen hat. Sei gütig mit der Sorge, mit der eigenen und mit der der anderen Menschen. So nah ist mir die Güte, dass ich sie walten lassen kann gerade angesichts der Sorge. Meine sehr menschliche Sorge ist das Feld, das die Güte bestellt. Im Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, und unsere Herzen und Sinne bewahrt in dem Kind Marias, in Christus Jesus. Amen.

  • Du bist nahe – Miteinander und füreinander beten

Unser Gott,
worum könnten wir dich sehnsüchtiger bitten, als um Freude?
Sieh, wie wir durch die Adventszeit gegangen sind:
Sorgen, Streit und Ärger überwogen oft alles.
Wir danken dir für das Abnehmen der Last von unserer Schulter durch die Erinnerung an die Freude!
Ja, du bist nahe!
Und welcher Grund zur Freude könnte größer sein?
So nimm unser eigenes Verzagen an, unsere Angst und unsere Trauer
und wandle sie in Mut und in Freude um!

Wir freuen uns über jeden Menschen,
der in Sicherheit leben kann und genug zum Leben hat.
Wir bitten dich für jeden Menschen,
für den das nicht so ist.

Wir sind voller Freude über jeden Menschen,
der sich von einer Krankheit wieder erholt und neue Kraft gewinnt.
Wir bitten dich für jeden Menschen,
der weiter mit Krankheit leben muss.

Wir werden fröhlich, wenn wir hören,
wie schlechte Verhältnisse sich ändern,
wie Menschen Mut fassen und sich wehren
und Veränderung einklagen und erkämpfen.
Wir bitten dich um Mut und Kraft für alle,
die sich noch auf diesen Weg machen werden.

Lass uns die Welt von der Seite der Freude aus sehen,
richte unseren Blick auf die Früchte aller Arbeit des vergangenen Jahres.
Hilf du allen, die helfen,
sei bei uns allen in der anbrechenden Festzeit
stärke unser weltweites Band,
wenn die Freude über dein Kommen
uns auf dieser Erde vereint.
Wir beten zu dir mit den Worten Jesu Christi.

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfr. Olaf Wisch)