Andacht zum Thema „Trost“ in der Sommerkirche (21. 07. 2024)


Anfangen:
In deinen Händen, Herr, steht unsere Zeit.
Denke an mich in deiner Gnade.
Erhöre mich und hilf mir.

Psalm 23.
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar. 

Der Trost der Aussicht .
ein Text von Orhan Pamir, türkischer Schriftsteller, der in Istanbul mit Blick auf den Bosporus lebt und arbeitet

„Was für eine Art Kraft gibt mir die Aussicht?
Warum blicke ich auf, sobald ich einem Problem begegne. Darüber habe ich beim Schreiben oft nachgedacht. Wenn ich an etwas zu knabbern habe, sei es nun ein Schreibproblem oder ein ganz allgemeines, fühle ich mich besser, sobald ich den Blick in die Ferne schweifen lasse. Und sobald ich mich besser fühle, gehe ich an das betreffende Problem aus einem anderen Blickwinkel heraus und überhaupt optimistischer heran. Wenn der ferne Ort, zu dem meine Augen sich wie von selbst hinbewegen, noch dazu mit Schönheit gesegnet ist, umso besser. Die Kraft, zu der die Aussicht mir verhilft, gründet also darin, dass ich einen Augenblick lang fern von allem bin. Nach einem kurzen oder auch längeren Blick darauf kehre ich mit frischer Kraft zu meinem Schreiben oder meinem Problem zurück. Vielleicht strebt ja deshalb jedermann zu Orten mit derartiger Aussicht oder will gar dort wohnen? Ganz Istanbul ist voller Hochhäuser, die darum wetteifern, einen Blick auf den Bosporus oder das Marmara- Meer zu bieten. Welche Aussicht aber ist die Beste, schönste, und welche verschafft uns die meiste Kraft.“

Lesung: Johannes 20, 19-22.
Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist!

Predigt.
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
Liebe Sommerkirchengemeinde,
der Trost der Aussicht – Orhan Pamuk hat in Worte gefasst, was ich auch immer wieder erlebe. Wie gut es tut, aufzuschauen, weiter zu blicken als nur auf das direkt vor mir liegende, die Augen schweifen zu lassen und mich selbst in einer großen Weite zu verorten.
Jetzt in meinem Sommerurlaub habe ich es besonders beim Wandern erlebt, auf dem Gipfel angekommen mit weitem Blick ins Land oder das Wolkenmeer unter sich. Da ist auf einmal das Schwere und Problematische weit weg. Das Leben ist stimmig und schön.
Oder am Meer, wenn abends die Sonne untergeht und ich ein Teil des kosmischen Farbenspiels werde, eintauche in rot und violett und blau und nicht die kommende Nacht vor mir sehe, sondern weiß, morgen wird es genauso wieder hell und das Licht wird sich überall ausbreiten.
Und manchmal muss ich gar nicht wegfahren, sondern schaue hier in Halle aus dem Fenster und sehe die Mauersegler flitzen und höre die Schwalben tschilpen und kann ganz im Augenblick sein und alles, was war und was kommt, loslassen.

Aber so ist das Leben nicht immer. Aussicht ist uns nicht garantiert und Trost auch nicht. Ja, es gibt aussichtslose Situationen, in denen der Blick nicht über die eigenen Fußspitzen hinaus reicht, weil ich so gefangen bin. Und wenn ich den Blick hebe, sehe ich vor mir nur eine Wand oder einen unüberwindbaren Berg an Problemen, an Arbeit, an ungelösten Konflikten. Kein Blick reicht darüber hinaus, ich sehe kein Weg geht daran vorbei und mittendurch erst recht nicht. Nichts, was die Situation abmildert. Nichts, was mich rettet.

Das Johannesevangelium widmet dieser aussichtslosen Situation vier Kapitel, die sogenannten Abschiedsreden.
Hier spricht Jesus, nachdem Judas hinausgegangen ist, um ihn zu verraten, und bevor er selbst gefangen genommen wird, mit seinen verängstigten Freundinnen und Freunden. Und gleichzeitig mit den ersten Leserinnen und Lesern des Evangeliums. Sie leiden unter Ausgrenzung und Verfolgung und wissen nicht, wie es mit ihrem Glauben und ihrer Gemeinde weitergeht.
Die Gefahr ist zum Greifen nahe, das Ende liegt in der Luft, keine Rettung in Sicht.
Euer Herz erschrecke nicht – sind die ersten Worte Jesu zu Beginn seiner Abschiedsreden und damit ist klar, es geht ums Innerste. Um Herz und Seele, um Angst und Schrecken, und auch um Liebe und Nähe, die sie brauchen und die doch droht, verloren zu gehen.
Jesus sagt dazu weiter:
Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit,
den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.
Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird die Welt mich nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe und ihr sollt auch leben.

Man merkt es seinen Worten an:
Jesus sieht die, zu denen er redet. Er erkennt, wie orientierungslos sie sind, wie Schafe ohne Hirten, wie verwaiste Kinder ohne Eltern.
So soll es nicht sein, sagt er. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen. Ihr sollt nicht hilflos und allein hier stehen und nicht weiterwissen. Auch wenn ihr denkt, dass jetzt alles aufhört. Ich verspreche euch, es wird etwas bleiben. Denn, auch wenn ich gehe, Gott wird euch einen anderen Trost geben. Den Geist der Wahrheit. Den Tröstergeist.

Zur Wahrheit gehört es, dass Jesus die Situation nicht beschönigt. Er sagt nicht: „Wird schon“ und „bloß nicht aufgeben“, sondern sieht, wie ihnen der Abschied zusetzt, wie verloren sie sind und wie sehr sie einen Beistand brauchen. Er weiß, dass es Situationen gibt, die uns die Aussicht rauben, die hoffnungslos erscheinen, die uns den Atem nehmen, die Liebe, alles, was uns bestärkt. In denen alles wegbricht und wir nichts mehr brauchen als einen Trost, der bleibt.
Dieser Trost wird kommen, verspricht er, und wird bleiben. Für immer. Bei euch und in euch. Versprochen. Die Welt wird ihn nicht erkennen und nicht verstehen. Aber ihr, die ihr zu mir gehört und in der Liebe bleibt, ihr werdet ihn empfangen. Und in ihm und mit ihm werdet ihr leben können.
Seinen eigenen Weg in den Tod vor Augen, glaubt Jesus trotzdem daran, dass es etwas gibt, was über das, was direkt vor ihm liegt, hinaus geht, einen weiteren Blick, eine große Aussicht.
Dieser versprochene Trost geht über alles, was wir Menschen einander geben können, hinaus. Denn er bleibt, auch wenn wir einander nicht mehr sehen können, er bleibt, auch wenn der Tod uns trennt. Er bleibt für immer. Denn er kommt von Gott, der Ewigen.
Dabei ist er nicht leicht zu erkennen, dieser Trost. Weil er unsichtbar ist. Die Bibel erzählt immer wieder vom Geist Gottes. Er ist wie eine Bewegung über dem Chaos, wie ein Hauch, der sich zart um eine legt, wie ein Atmen, das einem Erleichterung bringt, wie ein tiefes erleichtertes Aufatmen – dass so viel lösen kann, auf einmal.
Manchmal ist es das unerwartete Gefühl: ich falle nicht noch tiefer, sondern werde gehalten und bin getragen über der Tiefe.
Oder wenn der dunkle Fragenhorizont „warum und wohin?“ plötzlich aufreißt und sich Vertrauen und Erkennen vorsichtig Bahn bricht: da könnte mein nächster Schritt hingehen. Wenn die Angst mal Pause macht und das Lachen Raum gewinnt, wenn für einen Moment Farbe ins Leben kommt und Bewegung.
Da geschieht etwas, das wir selbst nicht steuern können. Wir werden erfüllt von einer anderen Kraft, umfangen von einem Trost, den wir selbst nicht haben, getragen von Gottes Geist.
Ich lebe und ihr sollt auch leben, verheißt Jesus kurz vor seinen Tod. Da ist kein Leben in Sicht, nur Gewalt und Schmerzen und Tod, und trotzdem hält er daran fest und spricht davon: ich lebe und ihr werdet auch leben.
Denn Gottes Geist wird euch trösten und beistehen und bei euch bleiben und in ihm bleibe auch ich Jesus bei euch.
Die Freundinnen und Freunde Jesu haben es dann erlebt. Verängstigt saßen sie nach seinem Tod in ihrem Haus, hatten Fenster und Türen verrammelt.
Da trat Jesus zu ihnen, war plötzlich da, obwohl doch überall undurchdringbare Wände waren. War plötzlich sichtbar mit allen Narben und Verletzungen. Mit den Zeichen des Todes und doch lebendig und nah.
Gezeichnet von Gewalt und doch mit dem Wunsch: Friede sei mit euch!
Und dann haucht er sie an und sagt: Nehmt hin den heiligen Geist!
Neues Leben kommt in sie und neue Hoffnung keimt auf. Das enge Haus wird weit und der Himmel klart auf. Es gibt wieder eine Aussicht und einen Plan: Wie der Vater mich gesendet hat, so sende ich euch!
Das Leben kann jetzt trotz Trauer, Abschied und Verwundungen neu und anders, aber getröstet mit einer guten Aussicht und einer neuen Aufgabe beginnen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus
Amen
Predigtlied:
Lied von Pater Sandesh Manuel (aus Hohes und Tiefes Nr.57)

Atme in uns, Heiliger Geist
Brenne in uns, Heiliger Geist
Wirke in uns, Heiliger Geist
Atem Gottes, komm
Komm, du Geist, durchdringe uns
Komm, du Geist, kehr bei uns ein
Komm, du Geist, belebe uns
Wir ersehnen dich.

Atme in uns, Heiliger Geist
Brenne in uns, Heiliger Geist
Wirke in uns, Heiliger Geist
Atem Gottes, komm
Komm, du Geist der Heiligkeit
Komm, du Geist der Wahrheit
Komm, du Geist der Liebe
Wir ersehnen dich (wir ersehnen dich).

Atme in uns, Heiliger Geist
Brenne in uns, Heiliger Geist
Wirke in uns, Heiliger Geist
Atem Gottes, komm
Komm, du Geist, mach du uns eins
Komm, du Geist, erfülle uns
Komm, du Geist und schaff uns neu
Wir ersehnen dich.

Fürbitten:
Gott Du Lebendiger,
wirst du uns deinen Geist senden?
Wirst du uns die Wahrheit zeigen,
uns ermutigen,
uns trösten,
uns retten,
beistehen?
Du hast es uns zugesagt.
Wir sind angewiesen auf dich,
Wir bitten um deinen Heiligen Geist.
Komm.
Gott, Mit dir wächst der Friede.
Sei bei denen,
die mitten im Krieg leben,
die in Todesangst erstarren,
die verwundet werden,
die in Schutzräumen Sicherheit suchen
und keinen Schutz finden,
bei denen,
die auf Hilfe warten,
die verschleppt wurden,
bei denen,
die unentwegt hoffen,
die den Frieden suchen.
Dein Heiliger Geist weise die Kriegsherren zurecht.
Dein Heiliger Geist bewahre ihre Opfer.
Wir bitten:
Komm.
Gott, Mit dir wächst der Trost.
Sei bei denen, die von Schmerzen geplagt werden,
die unheilbar krank sind,
bei denen, die sie umsorgen und pflegen,
bei denen, die hoffen,
die genesen und neue Kraft schöpfen,
bei denen 
die den Kampf gegen den Tod verloren haben,
die trauern und weinen.
Dein Heiliger Geist umhülle sie mit Liebe.
Wir bitten:
Komm.
Gott, mit dir wächst der Glaube.
Sei bei deiner weltweiten Kirche,
bei allen, die von deiner Kirche enttäuscht sind,
die verletzt und missbraucht wurden,
bei denen, die an dir festhalten
und dein Wort lieben.
Dein Heiliger Geist mache unsere Sehnsucht groß.
Dein Heiliger Geist segne uns und alle,
die zu uns gehören.
Wir bitten für heute und morgen und alle Tage:
Komm.
Amen.

Gunda Ortmann und Märit Kaasch Halle 21.7.2024