Palmarum (02.04.)2023

  • Eröffnung

„Der Menschensohn muss erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ So steht es mit dem Wort aus dem Johannesevangelium über dieser Woche. Es ist die Karwoche, an deren Ende der Tod Jesu steht. Erhöht wird er am Kreuz. In dieser spannungsreichen Aussage liegt die tiefe Wahrheit unseres christlichen Glaubens. Und die Hoffnung auf das österliche Licht.

  • Zeit der Gnade – Ein Psalm (Ps 69,2–4.8–10.14.21b–22.30)

Gott, hilf mir!
Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.
Ich versinke in tiefem Schlamm,
wo kein Grund ist;
ich bin in tiefe Wasser geraten,
und die Flut will mich ersäufen.
Ich habe mich müde geschrien,
mein Hals ist heiser.
Meine Augen sind trübe geworden,
weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.
Denn um deinetwillen trage ich Schmach,
mein Angesicht ist voller Schande.
Ich bin fremd geworden meinen Brüdern
und unbekannt den Kindern meiner Mutter;
denn der Eifer um dein Haus hat mich gefressen,
und die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.
Ich aber bete, Herr, zu dir zur Zeit der Gnade;
Gott, nach deiner großen Güte erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.
Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand,
und auf Tröster, aber ich finde keine.
Sie geben mir Galle zu essen
und Essig zu trinken für meinen Durst.
Ich aber bin elend und voller Schmerzen.
Gott, deine Hilfe schütze mich!

  • Empfang ihn froh, Jerusalem – Ein Lied: „Dein König kommt in niedern Hüllen“ (EG 14)

Dein König kommt in niedern Hüllen,
ihn trägt der lastbarn Es’lin Füllen,
empfang ihn froh, Jerusalem!
Trag ihm entgegen Friedenspalmen,
bestreu den Pfad mit grünen Halmen;
so ist’s dem Herren angenehm.

O mächt’ger Herrscher ohne Heere,
gewalt’ger Kämpfer ohne Speere,
o Friedefürst von großer Macht!
Es wollen dir der Erde Herren
den Weg zu deinem Throne sperren,
doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.

Dein Reich ist nicht von dieser Erden,
doch aller Erde Reiche werden
dem, das du gründest, untertan.
Bewaffnet mit des Glaubens Worten
zieht deine Schar nach allen Orten
der Welt hinaus und macht dir Bahn.

  • Alle Welt läuft ihm nach – Worte aus dem Johannesevangelium (Joh 12,12-19)

Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien:
Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!
Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.«
Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.
Die Menge aber, die bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, bezeugte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.
Wort unseres Herrn Jesus Christus.

  • Alt und Neu – Gedanken zum Einzug Jesu

Damals, als mein Bruder den Osterspaziergang für die Schule lernen sollte, hatte er ein besonders schlaue Idee. Aus den Beständen unseres Opas gab es eine Aufnahme auf Schallplatte. Der Plan war nun, sich das Gedicht wieder und wieder – zwanzig mal oder mehr – anzuhören, um es auf diese Weise – gewissermaßen passiv und mühelos – auswändig zu lernen. Viel Erfolg hatte das am Ende nicht. Aber ich habe immer noch den Schauspieler Horst Caspar im Ohr, wie er mit besonders knödeliger Stimme die Enge der mittelalterlichen Ständetradition intonierte. „Aus Handwerks- und Gewerbesbanden.“

Ganz anders klang die Verszeile: „Aus dem hohen dunklen Tor dringt ein buntes Gewimmel hervor.“ Durch geschickte Variation der Tonhöhe und Akzentuierung der Sprechstimme offenbarte sich ein Gefühl der Befreiung und Begeisterung.
Das bunte Gewimmel erinnert mich aber auch an die Beschreibung des Einzugs Jesu nach Jerusalem. Wer wird da nicht alles erwähnt? Eine Menschenmenge, die Jesus sehen will, eine Menschenmenge, die bezeugt, dass Jesus Lazarus auferweckt hat, eine Menge der Pharisäer, die das Geschehen mißtrauisch in Augenschein nehmen. Und dann sind da noch die Jünger, Menschen, die Jesus schon längere Zeit nachfolgen und schließlich Jesus selbst.
Vor dem Tore, so wie auch der Osterspaziergang im Faust-Drama als Szenerie beschrieben ist, ist ganz schön was los. Und die Vermutung liegt nahe, dass Goethe vielleicht auch an den Einzug Jesu gedacht hat. Nur ist er eine Woche zu spät dran; im Faust ist schon Ostern, während nach biblischem Zeugnis vor dem Tore Jerusalems bis Ostern noch eine Woche und viel Dunkelheit vergehen muss.
Was darüberhinaus auffällt, ist eine weitere Parallele. Goethe übt Kritik an der mittelalterlichen Tradition der Ständegesellschaft. Etwas Dunkles lässt die Menschenmenge hinter sich, etwas Beengendes; und so drängt sie ins Freie, ins Blumenrevier, zum fließenden Gewässer, um den grauen Winter endlich hinter sich zu lassen.
Auch beim Evangelisten Johannes findet eine Auseinandersetzung mit der Tradition statt. Zuerst sind da die Hüter der Tradition, die Pharisäer. Sie achten streng darauf, sich an die Gebote und Regeln des Volkes Israel zu halten, weil sie sich von alters her bewährt haben und weil sie mit göttlicher Autorität eingesetzt wurden. Warum sollte man da was ändern? Das macht ihnen Sorge und sie sehen, dass die Veränderung, die sie aus den Worten Jesu heraushören, durchaus beim bunten Gewimmel Anklang finden. Zumal Jesu Worte durch das Zeichen einer Totenerweckung unterstützt werden. Resigniert stellen sie in diesem Moment fest, dass Jesus „alle Welt“ hinterherläuft. Hier und jetzt können sie nichts ausrichten.
Die Menge ist anscheinend in einem ähnlichen Überschwang begriffen wie auch die Menge des Osterspaziergangs.
Aber so leicht überwindet man das Alte nicht. Ob die Pharisäer das in diesem Moment wissen und in Ruhe abwarten? Auch Goethe, das haben wir so in der DDR-Schule nicht gelernt, äußerte sich im 2. Teil des Faust eher skeptisch hinsichtlich des Fortschritts der Menschheit. Des Menschen Natur ändert sich nicht, lautet das konservative Credo, und so werden auch die Pharisäer ihren Weg in diesem Sinne verteidigen. Im Grunde für das Wohl der Menschen, die sich da gerade so begeistert mit Hosanna-Rufen vor dem Tor tummeln.
Nicht nur die Pharisäer glauben das zu wissen und sehen nicht, was Jesus eigentlich will. Auch seine Jünger verstehen das nicht. Immer wieder gibt es Anfragen an das Geschehen. Warum reitet Jesus auf einem Esel, fragen sie sich? Und die Fragen werden lauter, als schon wenige Tage später Jesus gekreuzigt wird. Das Heil bleibt verborgen, bis ihnen nach der Auferstehung ein Licht aufgeht.
Der Evangelist aber sieht diesen Einzug aus dem Rückblick. Er kann leicht sagen, worauf das alles hinausläuft. Die aber mittendrin stecken, die Menge, die Jünger, die Pharisäer – und auch Jesus selbst? – überblicken das Geschehen nicht. Der Hintergrund dieser Darstellung liegt darin, dass im Evangelium beides vermittelt werden soll. Die Tradition des Volkes Israel und der neue Glaube, den Jesus verkörpert. Die Gemeinde, der das Evangelium zuzuschreiben ist, kennt beides. Aber es ist für sie dennoch schwer einzusehen, wie beides zueinander passt.
Wie würde es mir gehen? Müsste ich mich nicht entscheiden? Nähme ich also begierig die Zeichen und Worte auf, die mir eine hellere, bessere und friedlichere Zukunft verheißen?
Oder folgte ich eher den Einsichten, die der menschlichen Natur folgen, oder dem, was ich dafür halte, und beharre auf die alten Regeln und Zustände?
Oder ruht doch das eine im anderen? Gehört nicht beides zusammen, die menschliche Natur und Gottes Verheißung?
Ich werde es erst wissen, wenn Jesus verherrlicht sein wird. Wenn ich ihn sitzen sehe zur Rechten Gottes; jenseits aller Fragen und Ungewissheiten und allen Leids.
Bis dahin bin ich auf die Worte Gottes angewiesen, die ich nicht nur in den Heiligen Schriften, sondern auch im Umgang der Menschen miteinander, im Suchen und Hören, im Streiten und Versöhnen, im Hoffen, Lieben und Glauben erkenne und finde.
Bis dahin bewahre uns der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

  • Wege in die Zukunft – Miteinander und füreinander beten

Unser Gott,

wir bitten dich, hilf uns, innezuhalten,
hilf uns, unsere Gedanken zu sammeln,
befreie uns aus dem Zerstreut-Sein,
gib uns innere Ruhe und Aufmerksamkeit.
Bleib bei uns, damit wir das Leiden und Sterben Jesu Christi
auf die rechte Weise bedenken und aufnehmen können
und hilf, dass daraus Mut und Klarheit zum Handeln erwächst,
um die richtigen Wege in die Zukunft zu finden.

Wir ringen in unserem Land und weltweit um politische Lösungen.
Du hast die Welt in deinen Händen
und uns Verantwortung und Freiheit
zum Handeln und Entscheiden gegeben.
Steh uns bei in allen nächsten Schritten und Entscheidungen
und stärke uns in allen Rückschlägen.

Segne unser Tun und Lassen
im Großen und Kleinen.

Wir vertrauen uns den Worten an,
die uns Jesus Christus gelehrt hat.

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfr. Olaf Wisch)