9. Sonntag nach Trinitatis 2020

  • Eröffnung

„Du hast den Menschen wenig niedriger gemacht als Gott“, heißt es im Psalm 8. Diese Zuversicht und Einsicht umschreibt die Fähigkeiten ebenso wie die Ansprüche, die Gott an uns stellt. Das kann mein Zutrauen stärken aber ebenso auch schwächen. So gehe ich durch diese Tage meines Lebens und frage mich jeden Tag aufs Neue. Wo hat dich Gott hingestellt und welche Stärken hat er dir mitgegeben für diesen Tag.

  • Ein Lied: Meine enge Grenzen (EGE 12)

1. Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht bringe ich vor dich. ||: Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich. :||

2. Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt bringe ich vor dich. ||: Wandle sie in Stärke, Herr, erbarme dich. :||

3. Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit bringe ich vor dich. ||: Wandle sie in Wärme, Herr, erbarme dich. :||

4. Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit bringe ich vor dich. ||: Wandle sie in Heimat, Herr, erbarme dich. :||

  • Worte aus Psalm 8

Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen,
der du zeigst deine Hoheit am Himmel!
Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge / hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen,
dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen.
Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk,
den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk,
alles hast du unter seine Füße getan:
Schafe und Rinder allzumal,
dazu auch die wilden Tiere,
die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer
und alles, was die Meere durchzieht.
Herr, unser Herrscher,
wie herrlich ist dein Name in allen Landen!

  • Worte aus dem Buch des Propheten Jeremia 1,4-10

Und des Herrn Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.

Ich aber sprach: Ach, Herr Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.

Der Herr sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr. Und der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

  • Gedanken zu Jeremia 1,4-10

Der Prophet Jeremia kennt seine Grenzen. „Ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung“, sagt er. Dass ein Prophet seine Berufung zurückweist, ist ein festes Muster im Alten Testament. Oft hat das mit mangelnder Sprachfähigkeit zu tun, die die zu Berufenen vorschützen. Mose bekommt daraufhin seinen Bruder Aaron zur Seite gestellt, Jesajas Lippen werden mit glühender Kohle gereinigt und Jeremias Mund mit der Hand Gottes berührt. Jeremias Jugend lässt Gott nicht gelten. Gottes Wort gilt allein. Und das legt er Jeremia in den Mund. Diese Geschichte der Berufung Jeremias zeigt, worauf es wirklich dabei ankommt, ein Mensch in Gottes Auftrag zu sein. Und die Frage schließt sich an, ob ich selbst ein Beauftragter Gottes bin?

1. Die Berufung erfolgt nicht aus dem Willen des Berufenen, sondern ruht im Willen Gottes. Von Anfang an steht dieser Weg des Menschen Jeremia im Plan Gottes fest. Anschaulich wird beschrieben, dass Gott ihn schon im Dunkel des Mutterleibes im Auge hatte. Gibt es solche vorgezeichneten Wege Gottes, von denen ich nicht mehr abweichen kann? Manchmal wird davon gesprochen, dass einem Menschen etwas in die Wiege gelegt wurde. Aber das ist schon viel zu menschlich gedacht Das Wort Gottes wird von außen an Jeremia herangetragen. Ich weiß nicht, ob er vor seiner Berufung jemals an einen Dienst in Gottes Namen gedacht hat. Ich glaube aber, dass Gott sich vor allem an Menschen wendet, die gerade nicht daran denken. Sie sind dann innerlich frei, nicht zu ihrem eigenen Vorteil diesen Dienst anzustreben. Der Wille Gottes ist unausweichlich. Ich kann mich ihm nicht entziehen. Auf wessen Geheiß handle ich? Wessen Worte führe ich im Munde? Sind es wirklich die Worte Gottes, oder doch nur meine? Die meiner Eltern, meiner Freunde, oder Worte, die ich irgendwo aus dem Internet oder aus einer Zeitung aufgeschnappt habe. Gegenwärtig scheinen viele Menschen daran zu zweifeln, dass der Großteil der Bevölkerung noch dem eigenen Willen folgt. Bin ich wirklich fremdbestimmt? Und wie kann ich dann wissen, dass ich dem göttlichen Auftrag nachgehe; und nicht einer falschen menschlichen Stimme?

Ein Kriterium ist

2. Die Berufung ist unbequem. Jeremia muss zwei Grenzen überschreiten. Die erste Grenze ist die Grenze seines Volkes. Gott führt den Gottesmann über die Grenzen der gewohnten Umgebung hinaus. Über das hinaus, was ich schon von Geburt an kenne. Wo ich mich auskenne. Gott macht Jeremia zu einem Propheten für die Völker. Da geht der Weg also ins Fremde. Wie werden diese Menschen, die mit diesem Gott nichts zu tun haben und nichts zu tun haben wollen, darauf reagieren? Kein Wunder, dass Jeremia sich zu klein oder zu jung dafür fühlt. Aber er kommt um diese Aufgabe nicht herum. Die zweite Grenze kratzt am Gottesbild. „Ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst du und bauen und pflanzen“, spricht Gott zu Jeremia. Aber ist Gott nicht ein guter Gott, der das Leben schafft? Wie kann er zugleich ein Gott der Zerstörung sein? Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass Gott Jeremia soviel Macht schenkt. Und wie kann ich diesen Gott verkünden, der auch für den Schrecken dieser Welt steht? So habe ich das nicht gelernt. Der Gott meiner Kindheit war stets ein vergebender, sanfter und solidarischer Gott, so wie Christus am Kreuz. Das Zerstören und Verderben passt dazu nicht. Dabei weiß ich, dass es ohne Zerstörung mitunter nicht geht. Bildlich gesprochen sind es die Mauern, die mich fernhalten von meinen Mitmenschen und von Gott, die notwendigerweise zerstört werden müssen. Real sind es Mauern, die tatsächlich von Menschen gebaut und wieder niedergerissen werden. Jeremia überschreitet die Grenze zum Fremden und zum Ungewohnten, Ungelerntem. Er ist darauf nicht vorbereitet, denn

3. Die Berufung hängt nicht an besonderen Fähigkeiten des Berufenen. Sie liegt im Vertrauen auf Gottes Kraft. Jeremia muss darauf vertrauen. Nicht aus eigener Kraft. Gott ist kein Motivationstrainer. Die Kraft Gottes wird erst spürbar im Leid. Wenn die eigenen Kräfte versagen. Dann wird Platz für den Frieden und die Hoffnung Gottes. Dann schwinden die engen Grenzen. Dann werde ich frei für das, was Gott schon im Mutterleib in mir sieht. Selbstverständlich habe ich Angst davor. Gut ist es, dann eine Stimme zu hören, die über die vielen Stimmen der Menschen hinausgeht. Das Leben, das von Gott kommt, wird sichtbar. Manchmal höre ich diese Stimme aus den Mündern der Menschen, die gefangen, krank, einsam und dem Tod nah sind. Dann höre ich sie auch am deutlichsten. Dann höre ich die Stimme Gottes: „Ja, ich will dich wieder gesund machen und deine Wunden heilen, spricht der Herr, weil man dich nennt ‚die Verstoßene‘ und: ‚Zion, nach der niemand fragt‘.

  • Ein Gebet miteinander und füreinander

Gott des Himmels und der Erden,
mache uns frei von dem,
was uns in uns selbst festhält,
reiße die Grenzen nieder,
die uns zurückhalten.
Zeige uns das Leben,
dass du uns gibst
und führe uns weg von dem,
was uns von dir und unserem Nächsten fernhält.

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, + Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfarrer Olaf Wisch)