20. Sonntag nach Trinitatis 2020

  • Eröffnung

Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, heisst es im Evangelium. Alle Regelungen, Gebote und Vorschriften sollen dem Menschen dienen. In diesem Sinne segne Dich Gott und Deine Zeit, wenn Du innehältst. Amen.

  • Ein Lied: Gott Lob, der Sonntag kommt herbei (EG 162)

1. Gott Lob, der Sonntag kommt herbei,
die Woche wird nun wieder neu.
Heut hat mein Gott das Licht gemacht,
mein Heil hat mir das Leben bracht.
Halleluja.

2. Das ist der Tag, da Jesus Christ
vom Tod für mich erstanden ist
und schenkt mir die Gerechtigkeit,
Trost, Leben, Heil und Seligkeit.
Halleluja.

3. Das ist der rechte Sonnentag,
da man sich nicht g’nug freuen mag,
da wir mit Gott versöhnet sind,
dass nun ein Christ heißt Gottes Kind.
Halleluja.

4. Mein Gott, lass mir dein Lebenswort,
führ mich zur Himmelsehrenpfort,
lass mich hier leben heiliglich
und dir lobsingen ewiglich.
Halleluja.

  • Aus Psalm 119

Wohl denen, die ohne Tadel leben,
die im Gesetz des HERRN wandeln!
Wohl denen, die sich an seine Zeugnisse halten,
die ihn von ganzem Herzen suchen,
die auf seinen Wegen wandeln
und kein Unrecht tun.
Du hast geboten, fleißig zu halten
deine Befehle.
O dass mein Leben deine Gebote
mit ganzem Ernst hielte.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote,
so werde ich nicht zuschanden.
Ich danke dir mit aufrichtigem Herzen,
dass du mich lehrst die Ordnungen deiner Gerechtigkeit.
Deine Gebote will ich halten;
verlass mich nimmermehr!
Tu wohl deinem Knecht, dass ich lebe
und dein Wort halte.
Öffne mir die Augen, dass ich sehe
die Wunder an deinem Gesetz.

  • Evangelium nach Markus, Kapitel 3, Verse 23-28

Und es begab sich, dass Jesus am Sabbat durch die Kornfelder ging,
und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen.
Und die Pharisäer sprachen zu ihm:
Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?
Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte
und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren:
wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester,
und gab sie auch denen, die bei ihm waren?
Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht
und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

  • Gedanken zu 1. Mose 2,4b-25

„Das Judentum ist eine Religion der Zeit, die auf die Heiligung der Zeit abzielt. Anders als das raumorientierte Denken der Menschen, für die die Zeit gleichbleibend, wiederholend, gleichförmig ist, für die alle Stunden sich gleichen und ohne Unterschied als leere Hüllen gelten, macht die Bibel auf die vielfältigen Eigenschaften der Zeit aufmerksam. […]

Jüdische Rituale können charakterisiert werden als das Wesen bedeutungsvoller Gestalten in der Zeit, als Architektur der Zeit.“

Mit diesen Worten umschreibt der jüdische Theologe Abraham Joshua Heschel die Bedeutung der Zeit im Judentum. Die Tage laufen in diesem Glauben nicht gleichförmig dahin. Es gibt Zeiten, die besonders hervorgehoben werden. Der Sabbat kennzeichnet z.B. eine Unterbrechung der Werktage. Was diese prägt, wird an jenem zum Heil der Menschen unterlassen.

Diesen Gedanken nimmt auch der Psychotherapeut Leon Wurmser auf. Er beschreibt in einem Vortrag über die Trauer das Innehalten eines Trauerzuges. Scheinbar ohne Grund wird der Gang unterbrochen. Die Zeit der Trauer kann nicht mit der Geschäftigkeit des Alltags konform gehen. Der Alltag ist ausgesetzt. Die scheinbare Zwecklosigkeit des Innehaltens ist Ausdruck menschlicher Endlichkeit im Angesicht des Todes und beugt sich vor der Heiligkeit im Angesicht Gottes.

Darauf legen die Pharisäer in dem Streitgespräch um das Ährenraufen am Sabbat Wert. Sie wehren sich dagegen, dass die dazugehörigen Regeln nicht eingehalten werden. Deshalb fragen sie Jesus, warum er seinen Jüngern nicht Einhalt gebietet. Es geht also nicht um die Kontrolle dieser Regeln oder eine kleinmütige Einschränkung menschlicher Bedürfnisse. Es geht ihnen um einen Kernbestand ihrer Religion. Jesus muss also gute Gründe haben, dass diese Regeln in diesem Moment nicht gelten.

Jesus stellt die Heiligkeit der Zeit im Judentum nicht in Frage. Es gibt Zeitabschnitte im menschlichen Leben, die unsere Geschöpflichkeit hervorheben. Es gibt Zeitabschnitte, die nicht durch menschliche Geschäftigkeit geprägt sind, sondern durch die Beziehung zu Gott. Gott ruhte am siebten Tag. Es ist dieser Tag, der heilig ist und wieder zurückführt in den Anfang der Schöpfung. Er ist der Vortag des Tohuwabohu, des anfänglichen Chaos‘, dass allein Gott beherrscht. In der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel ist nicht ein Tag wie der andere.

Jesus stellt die Heiligkeit dieser Architektur der Zeit nicht in Frage. Ganz im Gegenteil. Er hebt den Moment dieses Tages sogar besonders hervor. Es ist die Zeit seiner Gegenwart. In seiner Nähe ist die Unterbrechung des Alltags schon gegeben. Es ist eine Zeit der Krise, an der sich der scheinbare Gleichlauf der Zeit bricht. Die Jünger gehen ihm nach und haben schon längst ihren Alltag hinter sich gelassen. Auch David auf der Flucht darf sich ohne Schaden zu nehmen an den Schaubroten im Haus Gottes nähren. Das erkennen die Pharisäer nicht. Sie erkennen nicht die Bedeutung der Gegenwart Jesu. Das Handeln der Jünger und die Gegenrede Jesu empfinden sie als anstößig. Und so ist es verständlich, dass sie das heilige Gebot der Sabbatruhe verteidigen. Mit ganzer Seele liegt ihnen das am Herzen.

Die heilsame Unterbrechung des Alltags am Tag des Sabbats oder des Sonntags wird von Jesus nicht ausgesetzt. Er sagt nicht, dass das Gebot nun nicht mehr gilt in dem Sinne, zu tun und zu lassen, was ich will. Es ist und bleibt auch für ihn der Tag jenseits des Alltags. Ein angemessenes Bild dafür ist das absichtslose Leben der Kindheit. Susannah Heschel, die Tochter des eingangs zitierten Abraham Joshua Heschels, beschreibt im Vorwort des Buches ihres Vaters, wie dieser sich während der Sabbatfeier an die Zeit seiner Kindheit erinnert. An die chassidische Frömmigkeit, vom religiösen Adel getragen, mitten in Warschau. Ein angemessenes Bild dafür ist die aussichtslose Zeit im Tod. Leon Wurmser bearbeitet die Trauer nicht nur als Psychotherapeut sondern auch als trauernder Gefährte seiner Frau. Er erzählt, wie er sich für das Leben gegen den Tod engagiert. Aber das Leben seiner Frau ist nun vorbei.

Die sonntägliche Alltagsunterbrechung stellt somit in Frage, was mir sonst so wichtig erscheint. Der Sonntag ist kein Freibrief. Wie oft meine ich, mir etwas zu gönnen, und setze doch nur fort, was mich auch sonst antreibt. Bestenfalls mit anderen Mitteln: Der freie Sonntagnachmittag ist eine gute Gelegenheit aufzuräumen; oder den Band Gedichte zu lesen, der mir Vergnügen schenkt, aber auch Mühe macht? Das jüdische Gebot bezieht sich aber auf alle Handlungen. Die Hände sollen ruhen und auch der Kopf. Für die heilige Zeit. Im Angesicht Gottes. Jesus sagt: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. Gott ruht an diesem Tag. Ich ruhe an diesem Tag nicht für ihn, aber es entspricht seiner guten Schöpfung, wenn ich auch ruhe.

  • Ein Gebet miteinander und füreinander

Gott,
schenk uns diese Zeit,
in der wir vergessen, was uns treibt,
die uns erinnert an den frühen Morgen deiner Schöpfung
und an die Ruhe des Abends deiner Ordnung.

Schenke uns diese Ruhe in einer unruhigen Zeit.
Die Welt ist aus den Fugen.
Das Reden und Meinen der Menschen steht gegeneinander.
Und ein wenig weiter weg zerreist Mangel und Krieg
jeden Frieden und jede Sanftmut unter den Menschen.

Schenk uns diese Zeit,
die uns daran erinnert, dass wir nicht aus uns selbst leben können;
Schenk uns diese Zeit,
in der wir Ruhe finden für die Hände und die Gedanken.
Ruhen in dir.

Schenk uns diese Zeit,
mit den Worten Jesu Christi:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, + Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfr. Olaf Wisch)