15. Sonntag nach Trinitatis 2020

  • Eröffnung

Ohne Sorgen sollen wir sein. Leicht gesagt, lieber Gott. Aber sieh uns an. Wie leicht auch vergessen wir, wofür du sorgen wirst. Nimm uns deshalb jetzt mit in deine Welt, dass wir wieder unsere Augen schärfen und auf dein Wort hören. Im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

  • Ein Lied: „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ (EG 369,1.7)

1) Wer nur den lieben Gott lässt walten
Und hoffet auf Ihn allezeit
Der wird er wunderbar erhalten
In aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott dem Allerhöchsten traut
Der hat auf keinen Sand gebaut.

7) Sing, bet und geh auf Gottes Wegen
Verricht das Deine nur getreu
Und trau des Himmels reichem Segen
So wird Er bei dir werden neu.
Denn Welcher seine Zuversicht
Auf Gott setzt den verlässt Er nicht.

  • Aus Psalm 127

An Gottes Segen ist alles gelegen

Wenn der HERR nicht das Haus baut,
so arbeiten umsonst, die daran bauen.
Wenn der HERR nicht die Stadt behütet,
so wacht der Wächter umsonst.
Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht
und hernach lange sitzet
und esset euer Brot mit Sorgen;
denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.

  • 1. Mose 2,4b-25 (Der zweite Schöpfungsbericht)

Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme. Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila und dort findet man Gold; und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben. Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Und Gott der HERR machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen wurde keine Hilfe gefunden, die ihm entsprach. Da ließ Gott der HERR einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott der HERR baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch. Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.

  • Gedanken zu 1. Mose 2,4b-25

Es ist eine irdische Welt, in die der „zweite“ Schöpfungsbericht einführt. Die Beschreibung des Ortes Eden, des paradiesischen Gartens, setzt ein mit der materiellen Kennzeichnung der schöpferischen Elemente. Ackerboden, Regen- und Quellwasser und die – göttliche – Atemluft. Es grünen Strauch, Kraut und Baum; Mensch und Tier leben auf. Eingebettet ist dieser Garten in eine geographisch und historisch bestimmte Umgebung, die umflossen wird von vier großen Strömen. Einer wird besonders hervorgehoben durch seinen Reichtum an edlen Materialien: kostbares Gold, Bedolachharz und dem Edelstein Schoham, dem Onyx vergleichbar. Das Menschenwesen wohnt nach Gottes Willen in diesem Garten. Gott führt ihm die Tiere zu. Der Mensch benennt sie. Nicht allein wegen der Ordnung sondern auch auf der Suche nach einer Hilfe und einem Gegenüber für ihn. Die Namen sind gut für Gott, doch keines der benannten Wesen entspricht dem Menschen so, wie es Gott für gut ansieht. Nach seinem Urteil, oder besser gesagt, nach seinem göttlichen Willen, ist dieses Gegenüber ein Wesen vom menschlichen Fleisch selbst. Von dort nimmt Gott das Material für eine entsprechende Partner*in.

So wird es beschrieben in der Bibel in gerechter Sprache:

„Da ließ Adonaj, also Gott, einen Tiefschlaf auf das Menschenwesen fallen, dass es einschlief, nahm eine von seinen Seiten und verschloss die Stelle mit Fleisch. Dann formte Adonaj, also Gott, die Seite, die sie dem Menschenwesen entnommen hatte, zu einer Frau und brachte sie zu Adam, dem Rest des Menschenwesens. Da sagte der Mensch als Mann: »Dieses Mal ist es Knochen von meinen Knochen, und Fleisch von meinem Fleisch! Die soll Ischscha, Frau, genannt werden, denn vom Isch, vom Mann, wurde die genommen!« Deshalb wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich mit seiner Frau verbinden. Sie werden ein Fleisch sein. Und obwohl die beiden nichts anhatten, der Mensch als Mann und seine Frau, schämten sie sich nicht.“

Der in zwei Wesen geteilte Ursprungsmensch, so macht es diese übersetzende Interpretation deutlich, ist zueinander geordnet als Mann und Frau, der eine wie die andere in gleichen Teilen. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft, das dem Menschenwesen innewohnt, gewinnt Gestalt in dieser Auf-Teilung. Was dem einen zugehört, verkörpert die andere in ungebrochenem Ansehen. Sie erkennen sich als einander zugehörig und vollkommen. In der biblischen Sprache heißt es: Sie schämten sich nicht. In der Sprache des Dichters Marco Organo (Dorfschönheit, Halle 2015, S. 29) klingt das so:

Die Welt und die Dinge
erscheinen näher im Spiegel.
Ich aber sage, ein zweites Paar Augen
ist der bessere Spiegel!
Dort bricht nicht einfach nur Licht.
Alles Erblickte wird schön.
Erhält Kontur, verschwiegenen Grund.

Was vor Augen liegt und was auf dem Grunde der Ewigen ruht, wird sichtbar im Gegenüber.  Es ist im Anblick vollkommen. Gott sagt, es ist gut. Der Mensch urteilt (noch) nicht. Ihm ist sein Gegenüber offenbar und er seinem Gegenüber, ohne Scham und schön.

Liebe Leserinnen und Leser,

es klingt wie das Paradies. Es ist das Paradies. Was Eden von unserer Welt unterscheidet, liegt also nicht in der himmlischen, überirdischen Art dieses Gartens. Der Unterschied liegt in der Art und Weise, wie wir uns einander ansehen und welches Ansehen wir untereinander haben. Wo dieses Ansehen in göttlicher Güte ruhte und nicht in menschlichen Bewertungen, könnte sich jedes Menschenwesen ohne Scham zeigen. Eine Welt ohne Scham machte also aus dieser Welt der Gier und der Gewalt ein Paradies. Gewalt und Begehren treten erst dann zutage, wenn der Mensch nach seinem Urteil gut dastehen will vor Seinesgleichen. Die Scham ist somit Quelle unserer Zivilisation, die einerseits unser gemeinschaftliches Leben trägt, und andererseits Ursprung ihrer Risse, Zerwürfnisse und des Elends.

Es beginnt mit Kain, der nach seinem Urteil nicht das gleiche Ansehen vor Gott hat wie sein Bruder Abel. Er schämt sich vor seinem Bruder, vielleicht auch vor seinen Eltern, und vor Gott. Um das Ansehen auf sich zu lenken, vernichtet er den Bruder und schlägt ihn tot. Die biblische Geschichte der verlorenen Schamlosigkeit und des verlorenen Ansehens wird hier konsequent weitererzählt; und endet in einer Zeit, in der sich Wenige mit einem überbordenden Luxus schmücken, um in der Welt zu glänzen. Auf Kosten derer, denen oft das Notwendigste fehlt.

Wie ein unentrinnbares Schicksal herrscht diese Geschichte über der menschlichen Natur.

Meine Hoffnung aber liegt darin, dass der Alltag mir Gelegenheiten bietet, Gottes Geschöpfe mit seinen Augen zu sehen, ihnen paradiesische Kontur zu geben und den verschwiegenen Grund göttlicher Güte wahrzunehmen.

Ein Stück Paradies offenbart sich, dort

wo der junge Mann mit Freude früh um 6 Uhr auf den Bus wartet, um die Frau im Rollstuhl zu begleiten;

wo das Pärchen im Supermarkt, die ziemlich auffallen in ihren knallroten Kostümen, sich selbst auf eine so rührende Art genügen, dass ihnen mein scheeler Blick zum Glück entgeht;

der alte Mann, der etwas früher erwacht, und seinen Blick auf der schönen Frau neben sich ruhen lässt, die ihm das Herz schon seit Jahrzehnten trägt.

Das Paradies liegt nicht fern, es liegt im Auge des Betrachters, von Gottes Segen getragen.

Amen.

  • Ein Gebet miteinander und füreinander

Guter Gott,
oft wollen wir besser scheinen als wir sind;
vor uns selbst, vor unseren Mitmenschen und vor dir.
Wieviel Unglück und Not erwachsen daraus,
in der großen Politik, angesichts der flüchtenden Menschen, brennender und verdorrter Wälder und weltweiter Krankheiten und Kriege;
wie auch im Kleinen, in der Partnerschaft, auf der Arbeit und vor unserem Nächsten.
Stärke den Glauben in uns, dass du uns so gemacht hast, wie es deinem Willen entspricht.
Stärke den Mut der Politiker, dass sie ihrem Verstand und ihrem Herzen folgen
auch gegen den mutmaßlichen Willen ihrer Wähler.
Stärke unseren Stolz, dass wir nicht aus Eigennutz in unseren Beziehungen für das eigene Ansehen die Liebe zueinander opfern.
In deinem Sohn Jesus Christus hast du uns vor Augen gestellt, wie du uns siehst als deine geliebten Geschöpfe, die sich ohne Scham dir nähern dürfen.
Mit den Worten Christi beten wir:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, + Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfarrer Olaf Wisch)