13. Sonntag nach Trinitatis (11.09.)2022

  • Eröffnung

„Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ So geht die Nächstenliebe aufs Ganze. Auf unser Leben, auf das Leben meines Mitmenschen und auf das Leben mit Gott.

  • Sein Herz ist getrost – Worte nach Psalm 112

Halleluja!
Wohl dem, der den Herrn fürchtet,
der große Freude hat an seinen Geboten!
Sein Geschlecht wird gewaltig sein im Lande;
die Kinder der Frommen werden gesegnet sein.
Reichtum und Fülle wird in ihrem Hause sein,
und ihre Gerechtigkeit bleibt ewiglich.
Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis,
gnädig, barmherzig und gerecht.
Wohl dem, der barmherzig ist und gerne leiht
und das Seine tut, wie es recht ist!
Denn er wird niemals wanken;
der Gerechte wird nimmermehr vergessen.
Vor schlimmer Kunde fürchtet er sich nicht;
sein Herz hofft unverzagt auf den Herrn.
Sein Herz ist getrost und fürchtet sich nicht,
bis er auf seine Feinde herabsieht.
Er streut aus und gibt den Armen; /
seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich.
Sein Horn wird erhöht mit Ehren.
Der Frevler wird’s sehen und es wird ihn verdrießen; /
mit den Zähnen wird er knirschen und vergehen.
Denn was die Frevler wollen, das wird zunichte.

  • Wenn die Hand, die wir halten, uns selber hält – Ein Lied: „Wenn das Brot, das wir teilen“ (EGE 28)

Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht
und das Wort, das wir sprechen, als Lied erklingt,
dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut,
dann wohnt er schon in unserer Welt.
Ja, dann schauen wir heut schon sein Angesicht
in der Liebe, die alles umfängt,
in der Liebe, die alles umfängt

Wenn das Leid jedes Armen uns Christus zeigt,
und die Not, die wir lindern, zur Freude wird,
dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut,
dann wohnt er schon in unserer Welt.
Ja, dann schauen wir heut schon sein Angesicht
in der Liebe, die alles umfängt,
in der Liebe, die alles umfängt.

Wenn die Hand, die wir halten, uns selber hält
und das Kleid, das wir schenken, auch uns bedeckt,
dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut,
dann wohnt er schon in unserer Welt.
Ja, dann schauen wir heut schon sein Angesicht
in der Liebe, die alles umfängt,
in der Liebe, die alles umfängt.

Wenn der Trost, den wir geben, uns weiter trägt,
und der Schmerz, den wir teilen, zur Hoffnung wird,
dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut,
dann wohnt er schon in unserer Welt.
Ja, dann schauen wir heut schon sein Angesicht
in der Liebe, die alles umfängt,
in der Liebe, die alles umfängt.

Wenn das Leid, das wir tragen, den Weg uns weist
und der Tod, den wir sterben, vom Leben singt,
dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut,
dann wohnt er schon in unserer Welt.
Ja, dann schauen wir heut schon sein Angesicht
in der Liebe, die alles umfängt,
in der Liebe, die alles umfängt.

  • Tu desgleichen! – Evangelium nach Lukas im 10. Kapitel

Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18). Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?
Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war?
Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen! (Lk 10,25-37)

  • Jeder Mensch, der nach Nähe fragt – Gedanken zu Lukas 10
  1. Tu was!

Die Frau ist so müde, schrecklich müde. Immer wieder fallen ihr die Augen zu während der Fahrt in der Straßenbahn. Beim ruckartigen Anfahren oder Stehenbleiben wird sie nur für einen kurzen Moment wach. In den Kurven schlingert ihr Körper gefährlich auf dem Sitz hin und her. Einmal droht sie fast hinunterzukippen. Sie würde sich verletzen, möglicherweise auch ernsthaft. In diesem Moment reagiert der Mann, der neben ihr auf der anderen Seite des Ganges sitzt. Er rutscht rüber und tippt ihr an die Schulter. Werde wach! Vorsicht! Er tippt und schiebt auch ein wenig, um ihr zu einer weniger gefährlichen Position zu verhelfen. Besorgt schaut er sie an. Auch fragend. Was ist mit Ihnen?, fragen seine Augen.

Es ist nur eine kleine Tat, die der Mann da vollbringt. Dennoch „wagt“ er sie erst im letzten Moment. Im Gegensatz zu den anderen Mitfahrenden, die sich abwenden oder das Geschehen verfolgen, aber in jedem Fall nichts tun. Dabei kommt es in dieser Situation genau darauf an. Etwas zu tun! Tu was!

Zwischen dem Gesetzeslehrer und Jesus ist es ähnlich. Was soll ich tun? Tu das! Tue Barmherzigkeit. Tu es genauso. Sprachlich nicht schön, aber sehr deutlich. Es geht nicht um theoretische Erwägungen. Es geht nicht um die richtige Schriftauslegung oder Deutung der Gesetze. Jesus und der Gesetzeslehrer sind sich überraschenderweise völlig einig darin, worauf es ankommt. Die Forderung des Doppelgebotes der Liebe, und die Konsequenz aus der Beispielgeschichte des Samariters stimmen überein. Da gibt es kein Vertun. Tu was!

  1. Er ist wie du!

Nächstenliebe erwächst aus der konkreten Situation. Das ist keine zu verallgemeinernde Regel und keine Moral, die ich kraft meiner besseren Einsicht ein für alle mal festlegen könnte. Das nächstenliebende Handeln entsteht aus dem Glauben, dass dieser Mensch da ist wie ich. Aus Haut und Knochen, mit Gefühlen und Wünschen, mit Familie und Freunden. Wenn er nicht mehr wäre, oder wenn er sich verletzte, dann ist ein Schmerz in der Welt, er würde vermisst oder betrauert und bedauert. Ein Unglück und ein Jammer wäre in der Welt. Ein Jammer, der bis an den Himmel reicht, weil auch dieser Mensch ein Kind Gottes ist. Vom Samariter wird genau dieses gesagt: „Als er ihn sah, jammerte es ihn.“ Nicht mehr und nicht weniger. Der nächste Schritt ist schon die konkrete Tat. Denn dieser Mensch am Strassenrand ist wie er. Auch wenn er verletzt ist, halbtot und blutüberströmt, unansehnlich und wenig anziehend, auch wenn er anders glaubt, auch wenn er nicht dazuzugehören scheint.
Das Wort aus der alttestamentlichen Lesung sagt das in aller Deutlichkeit. Im sogenannten Heiligkeitsgesetz, das also direkt von Gott und seiner Sphäre, seinem Umfeld spricht, heißt es: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr.“ (3. Mose 19,18) Noch kürzer und prägnanter klingt das in der Übersetzung von Buber und Rosenzweig: „Halte lieb deinen Genossen. Dir gleich. ICH bins.“ „ICH“ in Großbuchstaben verweist auf Gott, dessen Name in der jüdischen Übersetzung nicht genannt wird. So entsteht ein Spiel mit Personalpronomen: Wer ist hier ein Ich, wer ein Du? Das Du ist einem Ich gleich, das auch Gott sein könnte. Nur so ist Gott erreichbar. Ich bin ein Ich, das zugleich auch ein Du ist. Nur so kann das Geschöpf Gottes sich als Gottes Geschöpf begreifen. Indem das Geschöpf den Mitmenschen ebenfalls als Gottes Geschöpf begreift. Die ganze Wahrheit eben. Gott hat auch den da gemacht. Den Verletzten an der Straße, die müde Frau in der Strassenbahn. Daran habe ich Anteil. Ich habe Mitgefühl. Es jammert mich.
Der Priester und der Levit hingegen begreifen sich zwar als Geschöpfe Gottes, aber das genügt ihnen schon. Vermeintlich sind sie Gott nahe genug. Dem Tempel in Jerusalem wird diese Nähe Gottes zugeordnet und sie gehören zum Tempel. Der Ort steht ihnen dafür ein, dass sie Gott erkannt haben. Alles andere lassen sie dafür links liegen. Sie gefallen sich in diesem Genügen. Vielleicht erscheint es ihnen besonders edel und geboten, sich fernzuhalten. Diese Haltung begegnet mir auch in der Gegenwart. „Ich kann auch ohne Kirche glauben. Ich bete für mich. Ich mache das alleine mit meinem Gott aus.“ Diese Statements höre ich oft, wenn jemand sein Verhältnis zu Gott und Glauben erklärt. Und irgendwie ist das ja auch verständlich. Menschliche Gemeinschaften sind nie perfekt. Aber es geht auch nicht ohne. Gott mutet mir zu mit den Zumutungen meiner Mitmenschen zu leben. Auch in der Kirchengemeinde. Darüberhinaus ist ohnehin jeder Mensch, der nach Nähe fragt, weil er in Not oder auf der Suche ist, mein Nächster. In diesem Moment. Nicht mehr und nicht weniger. Er ist wie du! Ein Kind Gottes.

  1. Tu das, so wirst du leben!

Es gibt ein jüdisches Gesetz, dass den Erhalt des Lebens an die oberste Stelle menschlichen Handelns setzt. Pikuach Nefesch, übersetzt heißt das „Beaufsichtigung einer Seele“; und bedeutet auch „Rettung aus Lebensgefahr“. Auch die Erzählung des Samariters ist davon geprägt. Er sorgt genau dafür. Dass der verletzte Mensch am Strassenrand weiterleben kann. Er leistet erste Hilfe, transportiert ihn an einen sicheren Ort und bezahlt das Nötige. Dann verschwindet er. Anscheinend erwartet er nichts weiter für seinen Dienst. Keinen Lohn und keinen Dank. Er hilft diesem Menschen, weil er selbst leben möchte. Das Leben dieses Menschen zu erhalten ist so gut wie das eigene Leben zu retten. Es gibt keinen Grund, es nicht zu tun; keine Ausrede, kein Ritual, keinen Glauben.
Eben das sagt Jesus auch dem Gesetzeslehrer: „Tu das, so wirst du leben!“
Im Alltag sieht das dann so aus, dass ich mehr tun kann, als Leben zu retten in einem dramatischen Moment. Also nicht nur wegen einer unmittelbaren Gefahr. Sondern auch immer dann, wenn das Leben eines Menschen gefährdet ist in seinem körperlichen, seelischen und zwischenmenschlichen Zusammenhalt. Konkret ist das. Konkret ist das schwer. Die Not anderer Mensche sehe ich oft. Aber selten tue ich etwas. Ich befürchte, jemandem zu nahe zu treten Das Beispiel vom Anfang macht es deutlich. Der Mann hilft; im letzten Moment. Er berührt die Frau sogar, weil es nicht anders geht. Weil er selbst betroffen ist, weil sie so nah neben ihm sitzt. Es ist so, als ob er selbst in Not gerät, wenn er die Not des Nächsten sieht. Vielleicht leiste ich deshalb so selten Hilfe. Die Hilfsbedürftigkeit meines Mitmenschen steht mir klar vor Augen. Weniger klar sehe ich meine eigene Angst und Unsicherheit. Bevor ich selbst was falsch mache. Gott sieht aber auch meine Angst. Mein Zögern. Und der hilfsbedürftige Mitmensch sieht es ebenfalls. Auch darin sind wir uns gleich. Gleich in der Not. Gleich in der Hilfe. Gleich als Gottes Kinder. Verbunden. In diesem Moment. Voller Leben. Und Gott ist mittendrin und so nah, wie es nur geht. Gott ist dann der Allernächste.

Amen.

  • Jeder Augenblick in unserem Leben – Miteinander und füreinander beten

Gott im Himmel,
wir bitten dich um innere Stärke, für das
was wir vor Augen haben, wenn wir an uns selbst denken:
die Spaltung der Gesellschaft,
die Sorgen um die Energiepreise im Herbst,
die unsichere Lage in der Ukraine,
vor allem mit Blick auf das Atomkraftwerk in Saporischschja.

Wir bitten dich um Mut zur Hilfe, für das
was wir vor Augen haben, wenn wir an andere denken:
deren Umstände jetzt schon kein menschenwürdiges Leben zulassen,
die an Sucht und Krankheit leiden, ebenso wie an Einsamkeit und mangelnder Liebe,
die selbst darunter leiden, selbst wenig Liebe geben zu können.

Wir bitten dich um Zuversicht für deine Schöpfung,
die zerrissen ist
zwischen all den Kriegen auf der Welt,
den hungernden Menschen,
der Gier nach Wohlstand und Reichtum,
den sterbenden Wäldern,
den ausgebeuteten Landstrichen.

Wir bitten dich um Leben, für uns, für unsere Nächsten,
für alle Wesen deiner Schöpfung.

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfr. Olaf Wisch)