10. Sonntag nach Trinitatis 2020

  • Eröffnung

„Höre, Israel, der Herr ist unser Gott“: Unser Gott. Der Gott des Volkes Israel! So beginnt das Schema Israel. Das ist das Grundbekenntnis des Judentums.
Der 10. Sonntag nach Trinitatis ist der Israelsonntag. An ihm geht es um das Verhältnis und die bleibende Verbindung zwischen Christinnen und Jüdinnen, zwischen Christen und Juden.

  • Ein Lied: Was mein Gott will, gescheh allzeit (EG 364)

1. Was mein Gott will, gescheh allzeit, sein Will, der ist der
beste. Zu helfen dem er ist bereit, der an ihn glaubet feste.
Er hilft aus Not, der treue Gott, er tröst´ die Welt ohn
Maßen. Wer Gott vertraut, fest auf ihn baut, den will er
nicht verlassen.

2. Gott ist mein Trost, mein Zuversicht, mein Hoffnung und
mein Leben; was mein Gott will, das mir geschicht, will ich
nicht widerstreben. Sein Wort ist wahr, denn all mein Haar
er selber hat gezählet. Er hüt´ und wacht, stets für uns tracht´,
auf dass uns gar nichts fehlet.

4. Noch eins, Herr, will ich bitten dich, du wirst mir´s nicht
versagen: Wenn mich der böse Geist anficht, lass mich, Herr,
nicht verzagen. Hilf, steu´r und wehr, ach Gott, mein Herr,
zu Ehren deinen Namen. Wer das begehrt, dem wird´s
gewährt. Drauf sprech ich fröhlich Amen.

  • Psalm 122 (Lutherbibel 2017)

Ein Segenswunsch für Jerusalem
Von David, ein Wallfahrtslied.

Ich freute mich über die, die mir sagten: Lasset uns ziehen zum Hause des HERRN!
Nun stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem.
Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll,
wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme des HERRN, wie es geboten ist dem Volke Israel, zu preisen den Namen des HERRN.
Denn dort stehen Throne zum Gericht, die Throne des Hauses David.
Wünschet Jerusalem Frieden! Es möge wohlgehen denen, die dich lieben!
Es möge Friede sein in deinen Mauern und Glück in deinen Palästen!
Um meiner Brüder und Freunde willen will ich dir Frieden wünschen.
Um des Hauses des HERRN willen, unseres Gottes, will ich dein Bestes suchen.

  • Worte aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer, Kap. 11

Ganz Israel wird gerettet werden

Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist. Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«

Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.

Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

  • Gedanken zum Text

Noch Spüre ich die Sonne auf meiner Haut und den Wind.
Noch ertappe ich mich dabei, wie ich die Ostsee rauschen höre.
Das Salz des Wassers schmecke. Den warmen Sand zwischen meinen Zehen spüre. Ich bin wieder hier, aber der Urlaub ist noch nicht ganz vorbei.

Und dann reist mich die Vorbereitung auf diesen Gottesdienst heraus.

Der 10. Sonntag nach Trinitatis, den wir heute feiern, ist der Israelsonntag.
An diesem Sonntag geht es um das Verhältnis von Christen und Juden.

Und sofort bin ich in Gedanken bei den schrecklichen Bildern vom Oktober letzten Jahres. Dem versuchten Massenmord an jüdischen Menschen mitten in unserer Stadt. Am höchsten jüdischen Feiertag. Bei Jana und Kevin, denen der Mörder das Leben nahm.

Der Prozess in Magdeburg läuft. Die Prozessbeobachter berichten. Der Täter legt vor Gericht noch einmal seinen Hass und seinen unerträglichen Antisemitismus offen. Er versucht seine Tat mit Worten fortzusetzen. Noch viele Verhandlungstage stehen aus bis zum Urteil. Es ist noch nicht vorbei.

Menschenketten haben wir gebildet in den Tagen danach. Offene Solidarität auf der Straße. Auch ich habe mich eingereiht. Es tat gut zu sehen, wie viele wir waren. Es half, ein wenig mit dem Unfassbaren umzugehen. Etwas zu tun. Ein Licht anzünden. Ein Lied singen. Beieinanderstehen. Vor der Synagoge. In der Ludwig-Wucherer-Straße. Auf dem Marktplatz. Bei Gedenk-Gottesdiensten. In den Fürbitten in den Wochen danach. Und seitdem?

Alles vorbei?

Der Israelsonntag ist für mich mit Scham verbunden. Ganz besonders in diesem Jahr. Ich frage mich als Pfarrer, als Theologe, als Christ:

Wo kommt die Verbundenheit mit dem Judentum zum Ausdruck – das Jahr über? Abseits der Solidaritätsbekundungen und der Lichterketten?

Wo ist die Erinnerung daran, dass Jesus von Nazareth jüdisches Kind einer jüdischen Mutter war, jüdischer Wanderprediger und jüdisches Opfer des römischen Statthalters? Spielt das eine Rolle – in meinem theologischen Nachdenken? In der Christenlehre? Als Thema auf Pfarrkonventen? In der Liturgie am Sonntag? Im Religionsunterricht? Bei meiner Bibellektüre? Wenn ich bete?

Das gleiche gilt für den Apostel Paulus, aus dessen Brief an die Römer der Text für diesen Gottesdienst stammt. Auch er war Jude – und blieb es sein Leben lang. Anders, als die Erzählung von der Wandlung vom „Saulus zum Paulus“ es nahelegt: Er spricht selbst niemals davon, „Christ“ geworden zu sein. Dieses Wort benutzt er gar nicht. Stattdessen betont er an vielen Stellen ausdrücklich, Jude zu sein. Niemals hat er seine Mutterreligion verlassen. Paulus bleibt Jude, sein Leben lang.

Mit voller Leidenschaft aber streitet er dafür, dass zur Gemeinschaft Gottes auch diejenigen dazugehören, die keine Juden sind, und an Jesus Christus glauben. Gottes Liebe kennt eben unterschiedliche Wege. Immer aber ist er Treu – und er bleibt vor allem seinem Bund mit dem jüdischen Volk treu.

Daran lässt der Jude Paulus keinen Zweifel.

Es mag bis heute auch Teil einer narzisstischen Kränkung für uns Christen sein: Wir sind nicht die Ersterwählten. Gottes Liebe zu den Menschen bindet sich nicht exklusiv an Jesus Christus. Die Liebe Gottes zum Volk Israel ist nicht in Christus. Sie ist eine unmittelbare.

Wie können wir damit umgehen? Wie können wir damit umgehen, dass jüdische Menschen Jesus nicht als den Messias anerkennen?

Für Paulus ist die Antwort klar: 

 Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist.

Israels Großteil lehnt das Evangelium von Jesus Christus ab, damit dieses zu den Völkern kommt. Das ist Teil von Gottes Heils-Plan. Nur so kommt das Evangelium zu uns, den Völkern.

Entscheidend aber ist am Ende die Ermahnung: Die Rettung Israels und die Frage, wie die Völker errettet werden, sind allein Gotte Sache. „Haltet Euch nicht selbst für Klug“, mahnt der Apostel. Spielt Euch nicht selbst zum Richter auf. Spekuliert nicht herum. Bleibt bescheiden, dankbar und demütig. Verlasst Euch aber voll darauf:

Ganz Israel wird gerettet werden. Ja, mehr noch:

Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

Machen wir uns also keine Sorgen. Weder um unser Heil, unsere Rettung, noch um die Israels. Vertrauen wir auf Gottes Treue. Vertrauen wir auf Gottes liebe.

Dann müssen wir uns nicht für klug halten und uns im Spekulieren ergehen.

Dann sind wir frei, uns unseren Ängsten zu stellen. Unseren Kränkungen. Und dann müssen wir keine Angst haben, etwas falsch zu machen.

Frei und offen können wir aufeinander zugehen. Auch auf unsere jüdischen Mitmenschen. Und sie fragen: Wie ist das für Euch, in diesen Tagen des Prozesses? Wie hat sich Euer Gemeindeleben verändert seit dem 09. Oktober 2019? Gibt es etwas, dass ihr von uns erwartet? Gibt es etwas, das wir für euch tun können?

Dann können wir uns frei und offen auf die Suche machen. Auf die Suche danach, was es heißt, dass Paulus und Jesus Juden waren. Welche Implikationen das hat – für unseren Glauben. Für unsere Gottesdienste. Für unser Gebet.

Dann ist nichts einfach vorbei. Dann geht es erst los.

Amen.

  • Ein Gebet miteinander und füreinander

(Wochengebet der VELKD zum Israelsonntag; Quelle: https://www.velkd.de/gottesdienst/wochengebet.php)

Du Gott des Lebens,
Israels Retter und treuer Freund.
Du Gott der Liebe,
Maßstab der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Wir beten dich an –
so taten es unsere Mütter und Väter,
so tut es dein Israel.

Du Gott des Lebens,
du bist treu –
so bleib den Menschen treu, die in Angst sind:
denen, die sich davor fürchten, sich anzustecken,
denen, die von den letzten Monaten gezeichnet sind,
denen, die sich vor dem nächsten Tag, der nächsten Woche,
den nächsten Monaten fürchten.
Treuer Gott: Hilf
und erbarme dich.

Du Gott des Lebens,
du bist gerecht –
so verhilf den Menschen zur Gerechtigkeit,
denen das Recht verweigert wird:
denen, die in Diktaturen leben,
denen, die aufbegehren,
denen, die im Elend allein gelassen werden.
Gerechter Gott: Hilf
und erbarme dich.

Du Gott des Lebens,
du hast wahren Trost –
so trockne die Tränen der Trauernden,
schließe die Sterbenden in deine Arme,
heile die verletzte Schöpfung.
Ewiger Gott: Hilf
und erbarme dich.

Du Gott des Lebens,
du Gott Israels,
du unser Gott,
dein Wort ist unser Ursprung,
unsere Gegenwart,
unsere Zukunft.
Sprich zu uns.
Sprich zu Israel.
Heute, morgen und alle Tage.
Dir vertrauen wir uns an
durch Jesus Christus.

Amen.

  • Segen (nach 5. Buch Mose 31,6)

Seid mutig und stark!
Habt keine Angst, und lasst euch nicht von ihnen einschüchtern!
Der Herr, euer Gott, geht mit euch.
Er hält immer zu euch und lässt euch nicht im Stich!

Amen.

(Pfarrer Dr. Georg Bucher)