Andacht zur Friedensdekade

Andacht zur Friedensdekade 2023

Sicher nicht  –  oder?

Anfangen

In deinen Händen, Herr, steht unsere Zeit.

Denke an mich in deiner Gnade.

Erhöre mich und hilf mir.

Eröffnung

Sprecher/in 1: Liebe Gemeinde, wir begrüßen Sie zum Gottesdienst am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr. Wir feiern ihn zu Beginn der Ökumenischen Friedensdekade als Bittgottesdienst für 
den Frieden.  

Sprecher/in 2: In diesem Jahr wenden wir uns den aktuellen Verunsicherungen zu, die wir in Gesellschaft, Kirche und Politik spüren. „Nach über zwei Jahren Pandemiegeschehen, dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, den Auseinandersetzungen in Israel und Palästina, verbunden steigenden Kosten für die Lebenshaltung sind viele Menschen verunsichert, was ihre Zukunftsperspektiven betrifft.  

Sprecher/in 1: Hinzu kommen Sorgen wegen des Klimas und der ökologischen Folgen, die aus unserem anspruchsvollen Lebensstil erwachsen. Bislang Selbstverständliches wird als nicht mehr sicher wahrgenommen, wie etwa das Zusammenleben in einem friedlichen Europa. Versprochen wird mehr Sicherheit durch verstärkten militärischen Schutz. Aber ist Frieden durch Waffen, ist Frieden durch Aufrüstung wirklich langfristig sicherzustellen?“ 

Sprecher/in 2: Die Antwort lautet: Sicher nicht – oder? Das ist das Motto, der diesjährigen Ökumenischen Friedensdekade. Sicher nicht – oder? ist Antwort und Frage zugleich. Manchmal sind wir schnell mit der Antwort und stellen sie doch kurz darauf wieder infrage. Was ist sicher? Auf was ist Verlass? In diesem Gottesdienst hören wir auf Gottes Wort, der sagt: „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit wird Ruhe und Sicherheit sein auf ewig.“ (Jesaja 32,17) 

Lied (EG 430)

Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf.

Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf.

Das Unrecht geht im Schwange, wer stark ist, der gewinnt.

Wir rufen: Herr, wie lange? Hilf uns, die friedlos sind.

Gib Frieden, Herr, wir bitten! Die Erde wartet sehr.

Es wird soviel gelitten, die Furcht wächst mehr und mehr.

Die Horizonte grollen, der Glaube spinnt sich ein.

Hilf, wenn wir weichen wollen, und lass uns nicht allein.

Gib Frieden, Herr, wir bitten! Du selbst bist, was uns fehlt.

Du hast für uns gelitten, hast unsern Streit erwählt,

damit wir leben könnten, in Ängsten und doch frei,

und jedem Freude gönnten, wie feind er uns auch sei.

Gib Frieden, Herr, gib Frieden: Denn trotzig und verzagt

hat sich das Herz geschieden von dem, was Frieden sagt!

Gib Mut zum Händereichen, zur Rede, die nicht lügt,

und mach aus uns ein Zeichen dafür dass Friede siegt.

Lesung: Jesaja 32,11-20 

Erschreckt, ihr stolzen Frauen, zittert, ihr Sicheren!  

Zieht euch aus, entblößt euch und umgürtet eure Lenden!  

Man klagt um die Äcker, ja, um die lieblichen Äcker,  

um die fruchtbaren Weinstöcke, um den Acker meines Volks,  

auf dem Dornen und Disteln wachsen,  

um alle Häuser voll Freude in der fröhlichen Stadt.  

Denn die Paläste sind verlassen,  

und die Stadt, die voll Getümmel war, ist einsam.  

Burg und Turm sind Höhlen für immer,  

dem Wild zur Freude, den Herden zur Weide,  

so lange, bis über uns ausgegossen wird der Geist aus der Höhe.  

Dann wird die Wüste zum fruchtbaren Lande  

und das fruchtbare Land wie Wald geachtet werden.  

Und das Recht wird in der Wüste wohnen  

und Gerechtigkeit im fruchtbaren Lande.  

Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein,  

und der Ertrag der Gerechtigkeit wird Ruhe und Sicherheit sein auf ewig,  

dass mein Volk in friedlichen Auen wohnen wird,  

in sicheren Wohnungen und in sorgloser Ruhe. 

Aber der Wald wird nieder brechen, und die Stadt wird versinken in Niedrigkeit.  

Wohl euch, die ihr säen könnt an allen Wassern  

und könnt die Rinder und Esel frei gehen lassen. 

Predigt 

Es war ein herrlicher, sonniger Sommertag. Unterwegs mit der Studentengemeinde saß ich auf einer Wiese mit Harald. Ich weiß nicht mehr, was der Anlass war; und auch nicht, wo wir gewesen sind. Aber ich erinnere mich an das Gespräch mit Harald. Er war damals so um die 50, schätze ich. Das ist ja manchmal schwer zu schätzen in jungen Jahren. So alt wie ich heute, nehme ich einfach an. Wir sprachen über Bücher; und da meinte Harald, er würde seine Bücher nicht mehr aufheben. Wenn er eines gelesen habe, gäbe er es einfach weiter. Ich verschenke sie, sagte er fröhlich. Mich verunsicherte das. Es stellte mich in Frage. Denn Bücher sind doch wichtig, und ich möchte sie für mich haben, jederzeit darauf zugreifen und sie zeigen können. Bis heute ist das nicht anders geworden. Obwohl ich nun so alt bin wie Harald damals.  
Das Besitzen Können, das sich Absichern, auch wenn es nur Bücher sind, zeugt davon, wie sehr wir Menschen auf Sicherheit angewiesen sind. Nach der Maslow-Pyramide ist das Sicherheitsbedürfnis nach Essen und Trinken, also körperlichen Bedürfnissen, die Grundlage aller anderen Bedürfnisse. Bevor wir also nach sozialen Kontakten, nach unseren persönlichen Vorlieben und nach Selbstverwirklichung fragen, muss unsere Sicherheit gewährleistet sein. So zumindest der Psychologe Abraham Maslow. 

Wenn also diese Sicherheit gefährdet wird, versuchen wir alles, um sie wiederherzustellen. Die Frage aber, was wir unter Sicherheit verstehen, würde sicher von Mensch zu Mensch, von Land zu Land und von Zeit zu Zeit sicher sehr unterschiedlich beantwortet werden. Als Student habe ich in einem Zimmer ohne Heizung und in einer Wohnung ohne Bad und mit Klo auf der Treppe gewohnt. Auch das würde mich heute eher verunsichern. Damals störte es mich nicht weiter. Ich legte nicht so viel Wert darauf. Und genau genommen, ist das auch nichts Außergewöhnliches. Mit Blick auf die Menschen, die unter Krieg leiden oder unter Nahrungsmittelknappheit, auf Menschen, die fürchten müssen, angegriffen zu werden, weil sie einer herrschenden Norm nicht entsprechen, ist das tatsächlich nebensächlich. Vielerlei Faktoren spielen da eine Rolle. Für die Wohnung habe ich damals auch entsprechend wenig bezahlt. Auf ein Einkommen gerechnet machte die Miete vielleicht 15% aus; ein Traum unter heutigen Verhältnissen. 
Letztendlich muss jeder und jede von uns selbst sagen, was Sicherheit bedeutet. Unstrittig sind Sicherheitsbedürfnisse, die die körperliche und psychische Unversehrtheit betreffen. Aber ich glaube, dass unsere Sicherheitsbedürfnisse in diesem Land oft weit darüber hinausgehen. Da muss es mitunter auch das schicke Auto sein, ein eigenes Haus und die Flugreise, die abgesichert sein sollen. Oder eben das gut gefüllte Bücherregal. Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass ich mit der Erinnerung an meine Studentenbude solche Sicherheiten auch in Frage stellen kann. Und mit der Erinnerung an Harald. 

Der Prophet Jesaja stellt uns eben eine solche sehr unsichere Situation vor Augen. In seiner Rede an die sorglosen und sicheren Frauen sind solche Sicherheiten gründlich in Frage gestellt. Fruchtbare Äcker sind voller Dornen und Disteln; und die Paläste sind verlassen. Das sind kriegerische Zeiten, Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und Zeiten, in denen vielleicht auch Dürre und andere Wetterphänomene einen beständigen Faktor der Unsicherheit darstellen. Auf der anderen Seite aber verschweigt Jesaja nicht, dass der Mensch diese Sicherheit braucht. Die Frage ist nur, wie diese Sicherheit, die beständig und ewig ist, hergestellt werden kann. Mit einem nüchternen menschlichen Blick gibt es diese Sicherheit nicht. Wir sind hier in unserem Land schon ziemlich weit damit gekommen. Versicherungen und Krankenkassen, Sozialgesetzgebung und Ausbildung, Technologie und Waffen sowie eine ausdifferenzierte Wirtschaft gewähren uns einen weit gehenden Schutz vor den Wechselfällen des Lebens. Selbst ein alleinstehender Mensch kann sich in der Regel darauf verlassen, dass ihm geholfen werden könnte. Und dennoch funktioniert das oft nicht. Es herrscht große Unsicherheit. Vor allem, wenn diese Sicherheitsfaktoren ins Wanken geraten. Wenn etwa ein Lebensplan nicht nach Plan verläuft, wenn ein Medikament nicht verfügbar ist, eine anhaltende Auswirkung der Coronapandemie, wenn die komplizierten wirtschaftlichen Kreisläufe ins Wanken geraten, wenn das Klopapier scheinbar knapp wird und die Mieten so teuer sind, dass gewisse Ansprüche nicht mehr sicher befriedigt werden können. 
Und das sind Bedingungen, die noch weit entfernt davon sind, wirklich von Gewalt und Hunger bedroht zu sein.  

Ist der Mensch unersättlich, was seine Sicherheit angeht? 

Oder sucht er sie nur auf falschem Weg? 

Und was bedeutet das, wenn ich meinen Blick über die Luxusprobleme vor Ort hinauslenke? Sind die Risse in der Gesellschaft, die Kriege in Israel und Palästina und in der Ukraine, ist der Hunger in der Welt, ist die Gewalt in den Strassen des Irans, sind all diese schrecklichen Dinge, die auf der Welt geschehen vermeidbar, wenn wir unsere Sicherheiten neu bedenken würden? Der Krieg ist Unsicherheit, aber der Grund zum Krieg ist oft ein anderes Bedürfnis nach Sicherheit. 

Woher kommen diese Ansprüche? 

Die Antwort Jesajas findet sich jedenfalls nicht in einer Vermehrung der Sicherheitsfaktoren, sondern lenkt den Blick darüber hinaus. Er benennt diesen anderen Weg mit dem Geist aus der Höhe. Da mögen als Christen sofort an Pfingsten denken; Jesaja benennt es aber als Recht und Gerechtigkeit. Wir können davon ausgehen, dass damit auch nicht eine Vertröstung auf das Jenseits gemeint ist, sondern konkrete Geschehnisse im Hier und Jetzt.  

Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein,  

und der Ertrag der Gerechtigkeit wird Ruhe und Sicherheit sein auf ewig,  

dass mein Volk in friedlichen Auen wohnen wird,  

in sicheren Wohnungen und in sorgloser Ruhe. 

Was wäre, wenn wir nicht mehr darauf bestehen würden, alle zwei Jahre ein neues Handy zu besitzen; wem wäre damit geholfen. Nicht nur den Kindern in den afrikanischen Kobaltminen. Ich glaube, auch diesem Menschen selbst. Denn welche Unsicherheit würde tatsächlich bestehen, wenn ich diese Möglichkeit nicht hätte. Es ist nur eine kleine Unbequemlichkeit. Schlimmstenfalls. 

Was wäre, wenn Ansprüche auf Land, Religion und Kultur nicht mehr mit Waffen verteidigt würden. Es gäbe nicht nur weniger Kriege in dieser Welt. Sondern ich hätte Gelegenheit, meine Religion und Kultur neu kennen zu lernen, sie zu bereichern mit Blick auf das, wie es andere Menschen halten. 

Was wäre, wenn wir nicht immer mehr verlangen würden, immer mehr Sicherheit, immer mehr Wirtschaftswachstum. Es würde nicht nur der Umwelt helfen, sondern ich hätte Gelegenheit, mich darauf zu besinnen, was wirklich zählt. Ich könnte die Erfahrung machen, dass die Geschichte der Nachbarin über den Gartenzaun interessanter und zu Herzen gehender ist als die Reise in ein fernes Land. 

Liebe Gemeinde,  

Ich kann das alles hier nur anreißen und vielleicht eine grobe Vorstellung davon vermitteln, wie weitreichend das Thema Sicherheit ist.  Jede und Jeder von uns, hat damit seine eigenen Erfahrungen. Jede und Jeder von uns hat sicher die Erfahrung gemacht, sich unsicher zu fühlen. Das ist selbstverständlich. Was in Frage steht, ist, wie wir damit umgehen.  
Recht und Gerechtigkeit mit dem Geist von oben, also einem Geist der Rücksicht, der Vergebung, der Zärtlichkeit und Liebe; oder die Jagd nach noch mehr Sicherheit? 
Harald hat es mir vorgemacht. Ich bin mir sicher, er hat nicht weniger Bücher gelesen als ich, nicht weniger dadurch gelernt oder weniger Vergnügen empfunden. Und dann macht er anderen Menschen eine Freude, indem er sie teilhaben lässt und gleichzeitig ein Stück loslässt, etwas Gelassenheit übt. Mit Sicherheit. Mit Gottes gutem Geist. Im Vertrauen, darauf, dass Gott uns gibt, was wir brauchen. Amen.

Füreinander beten

Der politische Umgang mit der Pandemie, dem Energieproblem, dem Krieg und mit geflüchteten Menschen hat in letzter Zeit einen Riss in der Gesellschaft hinterlassen. Sicher nicht – oder?  
Du Gott des Friedens, mit Schmerz denken wir an die Meinungsverschiedenheiten während der Corona-Pandemie zurück. Die Auseinandersetzungen haben Familien, Freundschaften und das gesellschaftliche Klima sehr belastet. Wir wollen nicht zulassen, dass das so bleibt.  
Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut, damit wir Beziehungen pflegen und heilen können.

Manchmal scheint es unumgänglich, Kriege militärisch zu beenden. Sicher nicht – oder?
Du Gott des Friedens, mit Blick auf die Ukraine und auf Israel und Palästina und andere bedrohte Völker fragen wir uns, ob wir mit Waffen unterstützen dürfen. Wir wollen es nicht und tun es dennoch.

Wir müssen uns eingestehen: Im Tun oder Lassen werden wir schuldig. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut, damit wir wirklich Frieden stiften und halten können.  

Unser anspruchsvolles Leben verursacht an Gottes Schöpfung bleibenden Schaden. Sicher nicht – oder?  
Du Gott des Friedens, die Klimaveränderungen machen vielen Menschen Sorgen und es ist letztendlich nicht absehbar, was daraus werden wird. Bei aller Unsicherheit wird aber immer deutlicher, dass wir auf die Weise, wie wir heute leben, immer mehr in Frage gestellt wird. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut, damit wir anders leben und deine Schöpfung bewahren.  

In Anbetracht der Nöte, die uns umgeben und verunsichern, bin ich machtlos. Ich kann doch nichts ändern. Sicher nicht – oder?  
Du Gott des Friedens, oftmals fühlen wir uns zu unbedeutend und zu schwach, um Konflikten und Krisen unserer Gesellschaft zu begegnen. Wir haben genug mit uns selbst zu tun. Aber wir wollen nicht nur zusehen und abwarten. Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut, damit wir unsere Möglichkeiten nicht schon vorab leugnen und immer wieder nach neuen Wegen auf der Suche sind.

Vaterunser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Es segne und behüte uns, Gott, der Allmächtige und Barmherzige,
Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.

Gestaltet nach dem Bittgottesdienst für den Frieden 2023

(Herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland)